Digitalisierung und Zukunft der Arbeit
Seit nunmehr 10 bis 15 Jahren ist »Digitalisierung« das Schlagwort der Stunde. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Digitalisierung nicht Gegenstand eines politischen Diskurses ist. Dabei geht es nicht nur um neue technologische Entwicklungen, sondern auch um die Zukunft der Arbeitswelt als solche. Wie werden wir künftig leben und arbeiten? Wird es noch genügend Arbeit geben? Und brauchen wir womöglich eine neue gesellschaftliche Ordnung, die Erwerbsarbeit nicht mehr zum Dreh- und Angelpunkt des Lebens erhebt? Vor dem Hintergrund, dass es gegenwärtig einen Fachkräftemangel in der IT-Welt gibt, scheint die These von einem Niedergang der Erwerbsarbeitsgesellschaft jedenfalls noch etwa zu steil. Werden wir in Zukunft also bloß eine andere Arbeitswelt haben, anstatt gar keine?
Angeblich 124.000 Stellen im IT-Bereich unbesetzt
Schenkt man einer aktuellen Umfrage, die der Digitalverband Bitkom in die Wege geleitet hat, Glauben, dann sind gegenwärtig rund 124.000 Stellen für IT-Fachkräfte nicht besetzt. Von einem Fachkräftemangel ist da die Rede. Und der Bedarf scheint rasant anzusteigen: Im Vorjahr sollen es noch 51 Prozent weniger offene Stellen gewesen sein. Diese Zahl lässt sich jedoch ein wenig relativieren, sofern man zur Kenntnis nimmt, dass die Bundesagentur für Arbeit von »lediglich« 54.000 offenen Stellen für akademisch ausgebildete Informatiker spricht. Offensichtlich wurden bei der Bitkom-Studie auch Informatiker mit einbezogen, die »nur« über eine Ausbildung verfügen. Doch wie dem auch sei, eines lässt sich dabei nicht relativieren: In jedem Fall scheint es einen wachsenden Arbeitskräftebedarf in der IT-Branche zu geben; die besten IT Headhunter in Deutschland streiten sich förmlich bereits um die »Mangelware« IT-Fachkraft. All dies zeugt vor allem von einem strukturellen Wandel der Arbeitswelt, weniger von ihrem Untergang.
Wenn in den vergangenen rund 15 Jahren etwas im Hinblick auf die Zukunft der Arbeitswelt klar geworden ist, dann ist es sicherlich die Tatsache, dass sich viele Unternehmen bzw. Organisationen immer stärker digitalisieren. Und dies nicht nur auf eine oberflächliche Art, indem sie zum Beispiel immer mehr Hard- und Software einsetzen, sondern auf eine die arbeitsweltlichen Praxisstrukturen fundamental verändernde. So werden beispielsweise immer mehr Vorgänge algorithmisiert und damit automatisiert, was bestimmte berufliche Tätigkeiten schlichtweg obsolet werden lässt. Gefährdet sind prinzipiell alle Tätigkeiten, die sich vollständig standardisieren bzw. routinisieren lassen. In dieser Perspektive, die etwa auch der Philosoph Richard David Precht in den Medien repräsentiert und als Konsequenz die Einführung eines bedingungslosen Einkommens fordert, sieht es so aus, als würde es künftig nicht mehr genügend Arbeit für alle geben, weil der digitale Wandel mehr Arbeitsplätze vernichtet als schafft.
Immer noch viele »Bullshit Jobs«
Dieser Sichtweise lässt sich etwa mit dem Sozialanthropologen David Graeber entgegenhalten, dass eine radikale Abnahme von Arbeitsplätzen im Zuge der Digitalisierung zumindest unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen eher unwahrscheinlich ist. Denn in seinem Buch, „On the Phenomenon of Bullshit Jobs“, beschreibt Graeber, dass viele Jobs heutzutage nicht etwa deshalb aufrechterhalten werden, weil sie echte Probleme lösen und von daher sinnvolle Jobs sind, sondern weil sie bloß symbolisch die Wichtigkeit bzw. Relevanz eines Unternehmens repräsentieren sollen. So stellen beispielsweise Firmen reihenweise Manger ein, die buchstäblich nichts zu tun haben. Ihre einzige Funktion besteht lediglich darin, eine hohe Relevanz ihrer Firma zu suggerieren, die damit gleichsam »angeben« kann, dass sie so und so viele Manager beschäftigt. Und Banken besetzen Stellen in der Beratung, obwohl ihre Kunden gerade aufgrund von Digitalisierungsmaßnahmen ihre Finanzangelegenheiten immer mehr selbst von zu Hause aus bewerkstelligen können. Die Digitalisierung sorgt hier also eben nicht für einen Wegfall der ursprünglichen Tätigkeit; vielmehr wächst die Stellenzahl sogar: Es kommen Stellen im IT-Bereich hinzu, während die alten Stellen ebenfalls beibehalten werden.
Des Weiteren zeigt Graeber auch, dass die Menschen, die in Bullshit Jobs tätig sind, es nicht wagen, den Job aufzugeben, weil das mit einer sozialen Stigmatisierung verbunden ist. Das bedeutet, dass Erwerbsarbeit also nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat, weshalb es unwahrscheinlich ist, dass wir in den nächsten Jahrzehnten dazu bereit sein werden, auf sie zu verzichten. Es ist folglich natürlich nicht sinnlos etwa eine Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen zu führen. Aufgrund der nach wie vor hohen Bedeutung von Erwerbsarbeit ist jedoch gegenwärtig eher nicht davon auszugehen, dass es in naher Zukunft auch tatsächlich kommt.
Es ist also klar, dass die Zukunft der Arbeit sicherlich im digitalen Bereich liegen wird. Dass dies allerdings zwangsläufig zu einem ersatzlosen Wegfall anderer Berufe führen wird, scheint aktuell zumindest noch eher unplausibel. Schließlich, und das ist wohl das gewichtigste Argument, kann »in the long run« auch nicht alles nur digital ablaufen, denn das Leben muss allererst immer noch analog gelebt werden.